Hundert und eine Nacht … Na fast

  Auf meiner Reise habe ich bisher vier verschiedene Arten von Schlafmöglichkeiten aufgesucht. 

  1. Zeltplätze (8 Nächte), unspektakulär, und nicht weiter erwähnenswert 

2. Pilgerunterkünfte (5 Nächte), hier reicht das Spektrum vom sterilen Bettenlager mit Schnarchsound und Frühaufsteherweckevent bis zum spendenbasierten urigen Dorfhaus mit gemeinsamem Abendessen und toller Gesellschaft.  

  3. WarmShowers Gastgeber (8 Nächte), immer nett, immer mit langen Gesprächen und leckerem Essen, mein absoluter Favorit bei den Unterkünften. Hier übernachte ich bei Privatleuten, die ich vorher über eine Internetplattform angeschrieben habe. Das Ganze beruht auf Gegenseitigkeit und einem netten Miteinander. 

4. Draußen, am Feldrand, im Wald, am Strand oder sonst wo, wo ich gerade bin. Mal in der Hängematte, mal im Zelt oder nur mit der Isomatte neben dem Fahrrad.  Im Tausch für Schlaf gibt es hier am meisten zu erleben und die schönsten Sonnenunter- und Aufgänge zu bewundern.  

Für den einen oder anderen, dem das Vergnügen einer Pilgerunterkunft bisher entgangen ist, hier eine Beschreibung:  In einer Alberge, wie eine Pilgerunterkunft auch heißt, kommt der geschundene Pilger meist mit nur geringem Geldopfer unter. Ein umso größeres Opfer muss meist bei der Pilgerruhe erbracht werden. Auf meiner diesmaligen Tour bin ich den Nonnen um 5:30 entgangen und konnte meine Schnarcherliebe durch den Einsatz von Ohrstöpseln verlängern. Gegen übereifrige Pilger, die viel zu früh die Schlafsaalbeleuchtung einschalten und alle am Packen ihres Rucksackes teilhaben lassen, ist noch kein Kraut gewachsen. Frei nach Jesus „Auge um Auge, Schlaf um Kopfkissen“ hätte ich jedoch gerne den übereifrigen Pilger, morgens um 5:10, nach dem Einschalten der Schlafsaalbeleuchtung, meinem Kopfkissen vorgestellt. Nur schlafe ich weder mit Kopfkissen noch wäre ich schneller gewesen als der Kollegen neben dem Lichtschalter. Der hat den Schlummermodus wieder hergestellt. Das übereifrige Pilgerlein, hat nun noch einmal versuchte das Licht einzuschalten. Beim Aufflammen der Lampen war der Anblick von 16 angriffslüsternen Bären wohl doch grusliger als die Dunkelheit. Schwups, war und blieb das Licht aus. 

  Doch es kam auch vor, dass mich erst die Putzfrau um kurz nach acht aus dem Bett geholt hat.

    Die aus meiner Erfahrung schönsten Unterkünfte sind die Klassischen Albergen, in denen man gegen eine Spende unterkommt. Mal gibt es hier sogar ein einfaches gemeinsames Abendessen, mal nur ein Dach über dem Kopf und einen heißen Tee für den durchgeregneten Radfahrer. Immer jedoch komme ich hier viel mehr und besser mit anderen ins Gespräch als sonst irgendwo.   Nach meiner sehr punktuellen Erfahrung von 2015 und diesem Jahr steht der Preis einer Unterkunft gerne in direktem Zusammenhang mit der Verbreitung von Bettwanzen, Flöhen und Fußpilz. Mehr Geld heißt hier auch mehr von allem anderen. In den einfachen Unterkünften wird viel strenger auf Hygiene geachtet als in den teureren. 

  Vor allem an Regentagen ziehe ich ein viel zu weiches Bett in einer Alberge dem (nassen) Schlafsack im nicht mehr ganz dichten Zelt vor.  

WarmShowers oder andere Gastgeber 

WarmShowers ist eine Internetseite, auf der Menschen eine Unterkunft mit der namensgebenden warmen Dusche für Radreisende kostenfrei anbieten. Das Ganze beruht auf Gegenseitigkeit. Heute bin ich Gast und Morgen biete ich mein Gästezimmer oder mein Sofa für einen anderen an. 

  Ohne Frage meine liebsten Unterkünfte, denn so wie hier lerne ich die Menschen vor Ort und die Kultur nirgends kennen. Zudem hatte ich bis jetzt immer ein eigenes Zimmer, leckeres Abendessen und meist ein genauso leckeres Frühstück. Dazu gab es immer Gespräche über Radreisen, Geschichte oder Land und Leute. So konnte ich mein Wissen über Europäische Fernradwege, das Elsass, Ausbildungssysteme in Frankreich, die Geschichte Burgos und über Permakultur erweitern. Da ich Frankreich jedoch in der Hauptferienzeit durchquert habe und auch in Spanien die Ferien gerade erst zu Ende gehen, habe ich auf die meisten Anfragen keine oder eine „leider nein“ Antwort bekommen.

Wenn es dann doch geklappt hat, war es jedoch umso schöner. Erwähnenswert finde ich auch die Frau, die mich am Straßenrand stehen sah, nach einer Unterkunft oder einem Schlafplatz suchend, und mich spontan zu sich mitnahm. Sie sprach nur Französisch und Italienisch und so haben wir uns mit Wortfetzen, Händen und Füßen ausgetauscht.  

Die meisten Nächte jedoch habe ich draußen verbracht. Je nach Wetter, Mückendichte und Baumbestand in Zelt, Innenzelt, Hängematte oder auf der Isomatte. Wenn möglich am liebsten an einem Bach oder See, aber meist einfach ein Stück einen Feldweg entlang und dann in die Landschaft. Dabei kann es so einige Erlebnisse geben, die in Erinnerung bleiben.

Den Schlaf nicht förderlich sind nächtliche Gewitter, die ein Um- oder Aufbauen der Überdachung erfordern. Wenn ich dann von innen auf das Alugestänge meines Zeltes blicke und die Blitze auffunkeln sehe, muss ich spontan überlegen, ob mein Zelt oder die Bäume am Feldrand bessere Blitzfänger sind.   Fast genauso schlaftötend können Autos sein, die mit ihren Scheinwerfern den Wald abtasten. Gefolgt von Mücken und Wildschweinen, die nach Nahrung suchen.

Eine besondere Aura hat auch die Braunbärenpopulation der Pyrenäen, über die ich intensiv in der Hängematte, kurz unter einem Bergpass im abgelegenen Gelände, nachgedacht habe.   Beim Aufstehen sind steigendes Wasser im Bach neben mir und eine Treibjagdgesellschaft sehr beschleunigend. Regen und Kälte hingegen sehr verzögernd.  

Die schönstens Nächte hatte ich:  

–          Am Atlantik in einem Waldstück zwischen zwei Badeorten. Hier habe ich mir ein echtes Lager aufgebaut und bin gleich drei Nächte geblieben. 

– Auf einem Hügel, mit Seeblick umgeben von Olivenhainen und genähten Feldern

–          An einem kleinen Fluss, gleich neben der Dorfbadestelle (Das hatte ich an der Seine und bei Palencia)

  Wenn es mal kein so schöner Ort war oder ich mir nicht sicher sein konnte, wann der Bauer aufs Feld kommen würde, hieß es spät aufbauen und früh wieder weg sein. Bis auf die Jäger hat mich bisher auch noch niemand weggescheucht.  

Sehr glücklich bin ich über meinen Daunenschlafsack, der mir schon so einige kalte französische und auch spanische Nächte erwärmt hat. Doch auch er hat schon so einiges an Nässe ertragen müssen. Mal Regen, mal Tau und mal die Feuchtigkeit vom Boden, hat er sich schon in so mancher Mittagspause den Bauch von der Sonne kitzeln lassen. 

Die kleinen Unterschiede

Bekanntlich stimmt mein Genom zu über 96% mit dem eines Schimpansen überein und doch bin ich kein Schimpanse. Zwischen zwei beliebigen Menschen soll die Übereinstimmung sogar bei 99,9% liegen. Wie mit den Genen verhält es sich wohl auch mit den Kulturen. Frankreich und Spanien sind Deutschland verdammt ähnlich. Hier wird auch auf der Straße rechts gefahren, bei Rot stehen geblieben, wenn Kinder in der Nähe sind, und Bücher von links nach rechts gelesen.

Während in Deutschland jedoch kostenfreie öffentliche Toiletten schon eine Rarität sind, gibt es sie in Frankreich in fast jedem Dorf. Dass sie auch sauber sind, brauche ich wohl nicht zu erwähnen. Auch hier gibt es die Ausreißer, doch durch selbstreinigende Varianten an den viel besuchten Orten sind auch diese benutzbar. Was in Frankreich die Toiletten sind, ist in Spanien der öffentliche Wasserhahn, der mir den Gang auf den Friedhof erspart. Chlor gibt es hier auch immer gleich mit dazu.

Im Wald oder am Wegesrand, wo ich gerne meine Hängematte aufhänge, gibt es nur sehr selten Duschen. So bin ich viel auf der Suche nach Gewässern, in denen ich mir die Salzkruste des Tages abwaschen kann. Frankreich ist hierfür jedoch ziemlich ungeeignet. Es gibt zwar endlos viele Gewässer, doch keine Badestellen. Je weiter ich in den Süden kam, desto mehr nahmen zwar die Freibäder, nicht jedoch  die Badestellen zu. Einzige Ausnahme bildeten hier einige „Seen“ im Hinterland des Atlantiks. Die sind aber mehr Schein als Sein, mehr Pfütze als See. Noch einen Kilometer vom Ufer entfernt blieb meine Badehose trocken. Hier wäre jeder Rettungsschwimmer fehl am Platz und doch hat der eine oder andere sich hierher verirrt. In Spanien gibt es nun aber wieder genügend wilde Badestellen, wenn es denn badebare Gewässer gäbe.

Was die Pflanzen am Wegesrand und auf den Feldern dahinter angeht, gibt es in Frankreich nur wenig Ungewöhnliches: Weizen, Kartoffeln, Hanf, Rüben, Sonnenblumen und Mais wechseln sich ab. Im Süden dann wird es bei Bordeaux fast exotisch, die Gebietsgrenze ist auf Meilen am beginnenden Weinanbau zu erkennen. Genauso unvermittelt hört der aber auch wieder auf und geht in Nadelwald am Atlantik über. In den Pyrenäen dann gibt es unten noch Laubwald, der beim genauen Hinschauen aber etwas mediterraner wirkt als der bayrische Wald, und oben dann die üblichen Sträucher.  

In Spanien dann ist die Feldgestaltung sehr einfach. In Rioja Weintrauben, östlich davon Sonnenblumen mit Weizen und westlich davon Weizen, mit Weizen und Sonnenblumen. Alle paar Kilometer steht dann mal noch ein Baum und dazwischen Burgen aus Strohballen auf Stoppelfeldern. In der Nähe der Dörfer gibt es dann noch Gemüsegärten und zwischen den Dörfern Schweine- und Geflügelställe.

Nachdem ich endlose Tage nur Stoppelfelder gesehen habe, kam dann hinter Salamanca die Wende. Da standen Bäume, und wären es nur doppelt so viele gewesen hätte es ein Wald sein können. Unter den Bäumen grasten Rinder und dann kamen mir auch noch drei Männer auf Pferden entgegen. Die schienen zur Arbeit zu reiten. Da wo es bergig ist, haben der Wald und die Cowboys sogar hier eine Chance.

Hier wurde ich das eine oder andere Mal auch sehr an Indien erinnert. Am Rnad vieler Orte gibt es kleine Werkstäten und Handwerksbetriebe. Wie in Indien sind viele von denen in soetwas wie Garagen untergebracht. Zur Straße hin geöffnet geben sie beim Vorbeifahren einene guten Einblick in die statfindende Arbeit.

Ein für mich sehr erfreulicher Unterschied zu deutschen Landstraßen sind nicht nur die viel geringere Verkehrsdichte, sondern auch der breite Seitenstreifen an den größeren Straßen in Spanien. Da könnte sich so mancher Fahrradweg mal was von abschauen. Die Autofahrer sind noch fahrradfreundlicher als in Frankreich und hupen meist sogar vor dem Überholen. Was sich bitte weder die Straßen und noch weniger die Bauern irgendwo abschauen sollen, sind die endlosen Stacheldrahtzaune, die vor allem in Extremadura die Straßen säumen. Dahint liegen meist Lichte Olivenheine, in denen das eine oder andere Vieh herumläuft. Die Einheimischen sind super hilfsbereit und es bedarf eines gewissen Sturkopfes, um sich hier nicht nach Santiago zu bewegen. Fast jeder sagt einem, dass es dort lang nach Santiago gehe und man falsch sei. Oder wollen die was verbergen? Ihre schönen Berge? Die tollen Badestellen im Wald?

Ein wichtiger Unterschied, denn ich nicht vergessen will, ist die Radfahrkultur. Sowohl in Spanien als auch besonders in Frankreich wird viel Fahrrad gefahren. Mountainbike und Rennrad sind hier täglich auf den Straßen zu sehen. Doch weite Strecken, gar in die Ferne fährt hier kaum einer. Das schlägt sich auch in den Fahrradgeschäften nieder, die für viele Teile meines Fahrrads keine Ersatzteile dahaben. Dafür sind sie umso hilfsbereiter und versuche alles ihnen Mögliche um zu helfen.

Aber nicht alles ist schöner als daheim. Spanien hat eine so gewaltige Population von Fliegen, dass einige von denen ständig um einen herumkreisen, sich auf Ohren, Nase oder gar die Augen setzen wollen. DDie Fliegen werden nur noch von den Mücken getoppt. Die sind wie in Deutschland meist nur auf ein One-Stich-State aus.


Last but not least sind die Essensgewohnheiten hier andere als in Deutschland. Schon in Frankreich ward nach meinen Maßstäben spät gegessen. Es kann da auch mal 20 Uhr werden, bis man beginnt. Das ist aber noch nichts gegen die Spanier. Hier wird vor 21 Uhr nicht mal an das Essen gedacht. Bevor dann angerichtet ist, ist es schnell mal 22 oder 23 Uhr. Zum Glück hatte ich aus Frankreich schon Übung im späten Essen. In beiden Ländern wird abends meinst gekocht und in Frankreich gibt es nach dem warmen Essen immer noch Brot und Käse. Bei der Auswahl der Zutaten sind die Spanier sehr vielfältig, nur eins ist fast immer dabei, Fleisch. Wer kein Fleisch mag, kann da nur zu Fisch oder Meeresfrüchten greifen. Die gibt es hier aber auch zu erschwinglichen Preisen, selbst im Discounter, zum Selbstabfüllen. Womit mich Spanien kulinarisch aber am meisten besticht, sind die Tapas, kleine Teller mit einer Kleinigkeit zum Essen, und das günstige Obst. Hier gibt es selbst einheimische Mangos vom Festland. Allgemein sind die Nahrungsmittel in Spanien wieder günstiger als in Frankreich, solange es einheimische Lebensmittel sind. Warum jedoch der Jogurt im Lidl aus Bayern stammt, ist mir ein Rätsel.

Vom Lac-du-Der zur Darmstädter Partnerstadt

Nach drei Tagen auf Straßen, die mal ganz leer, mal etwas voller waren, kam ich am Sonntag am Lac-du-Der an. Meine Klamotten waren fast gänzlich vom Regen und Tau der letzten Tage durchnässt und ich freute mich auf einen Standplatz auf einem der vielen Campingplätze am See. Leider waren die Campingplätze entweder verunglückte Vergnügungsparks, mit Wasserrutschen, Hüpfburgen und Entertainment Programm und entsprechend teuer oder Vergnügungstempel mit Schauparty und mir etwas zu leicht bekleideten Damen. In beides passte ich nicht. So entschied ich mich, eine Nacht im Wald zu zelten, der Regen war nun ja endgültig vorbei sein.
Aus dem Wald wurde dann einer der Badestrände mit einer traumhaften Aussicht beim Abendessen. Aus meiner ersten Nacht am Strand kann ich aber jedem nur empfehlen den Boden unter dem Zelt vor dem Schlafen glatt zu machen. Sand wirkt zwar sehr weich, ist es aber nicht. So habe ich nur halbwegs gut geschlafen und konnte am nächsten Morgen nach Troyes starten. Meine Idee loszufahren und im ersten Dorf ein Baguette für das Frühstück zu kaufen, scheiterte jedoch am Fehlen eines Bäcker im nächsten und auch übernächsten Dorf. Schon ziemlich hungrig holte ich mir dann zwei Baguettes auf einem Zeltplatz. Beim Frühstück schaute ich mir jetzt mal meine geplante Route an. Was mir die Karte da sagte, gefiel mir gar nicht. Der Fahrradweg, dem ich folgen wollte, verlief nahezu ausschließlich auf Straßen. Noch mehr störte mich die Distanz, die mir angezeigt wurde. Etwas um die 90 Kilometer, hatte ich doch schon 20 Kilometer hinter mir. 70 bis 80 km waren doch bisher gute Strecken gewesen. Zu dem wollte mir noch Troyes anschauen. Ist schließlich eine der Partnerstädte Darmstadts. Schön, dass ich so früh losgefahren war.

Auf den Fahrradweg verzichtete ich, ich hatte eh keine Schilder zu ihm gefunden. eingestellt auf über 90 km machte ich mich mit wenigen Pausen auf den Weg. Die Straßen waren meist sehr klein und die Orte, durch die ich kam, überwiegend kaum mehr als ein paar Häuser. Doch fast jedes Dorf hatte eine stattliche Kirche. Aus alter Gewohnheit blieb ich an einer jeden stehen und schaute, ob sie offen war. Und siehe da, hier abseits der viel befahrenen Wege stand die eine oder andere Tür offen. Ich konnte einige äußerlich änliche aber im Innern sehr unterschiedlich gestaltete Kirchen bewundern. Im Tagesverlauf gesellte sich ein alter Bekannter wieder zu mir. Ab Mittag hatte ich fast durchgehend Gegenwind.
Auf die letzte, nun größere und stärker befahrene Straße eingebogen, wurde ich von einem Wegweiser ernüchtert. Noch immer fast 20 km bis Troyes. Zum Glück wartete dort ein Zeltplatz mit Dusche auf mich. Mit der Aussicht auf eine Dusche und einem abendlichen Bummel mit Pizza oder Ähnlichem, kämpfte ich mich über einen Hügel nach dem anderen. Dann endlich der letzte Hügel und ein Rollen bis zum Zeltplatz. Doch was war das?! Die Wegweiser zum Zeltplatz waren durchgestrichen. Mit einer unguten Vorahnung traf ich vor dem Zeltplatz ein. Das Tor verschlossen, die Auffahrt mit Kraut bewachsen. Hier war schon länger kein Camper mehr gewesen. Nach einem kurzen Durchatmen und einem Blick in die Karte, fand ich einen möglichen Alternativort für mein Zelt. Ein wenig hatte ich ja gehofft, mich würde wer ansprechen, ob ich bei ihm schlafen wollte. Hat aber niemand. Auf dem Weg zu meinem auserkorenen Waldstück kam ich erst an einer Badestelle, dann an einem Maisfeld vorbei. Doch an dem einen konnte ich nicht zelten, an dem anderen nicht baden. So fuhr ich an beiden vorbei. Das auserkorene Waldstück stellte sich dann als Picknickwiese heraus, auf der Bänke standen. Hier konnte ich kochen, aber nicht zelten. Jetzt nach über 100 km gänzlich erschöpft kochte ich trotz Mücken Nudeln mit Pesto. Nach dem schnellen Essen ging es dann doch zurück zur Badestelle und die Nacht verbrachte ich denkbar ruhig am Rand des Maisfeldes. Ohne den festen Plan, erst essen, dann baden, wäre ich mal vor Mitternacht ins Bett gekommen.

Fahrradfahren in Frankreich

Frankreich ist bei mir bekannt als das Land des Champagners, Camembert, Mt. Blanc und der Tour de France und natürlich als die Heimat eines Dorfes voller unbeugsamer Gallier. Was in dieser Liste fehlt, sind die unzähligen Kanäle, die das Land durchziehen. Entlang der Saar, der Mosel, der Seine, zwischen Rhein und Maar, zwischen jedem Flüsschen und jedem anderem gibt es gefühlt einen Kanal. Früher wurde auf denen viel getreidelt und so gibt es entlang selbiger meist einen Weg. Bei vielen Kanälen sind diese Wege mittlerweile asphaltiert und heißen dann Saar-Radweg oder Mosel-Tour.
Da Wasser bekanntlich nicht ruht, wenn es bergauf oder -ab geht, sind die Kanäle und Radwege ganz flach. Ganz flach? Nein, eine kleine Konstruktion setzt sich den Regeln der Physik unerbittlich entgegen. Da Frankreich nicht gerade flach ist, besteht manch ein Kanal aus mehr Schleusen als Kanal. Mit dem Boot liebt man Schleusen über alles, hat eine endlose Geduld oder wird verrückt. Als Fahrradfahrer ist man schon wieder oben, kaum dass man die 2 Meter Stufe hoch gemerkt hat. Runter jedoch, da ist jede kleine Beschleunigung sehr willkommen.
Was mich persönlich an diesen Kanälen sehr erstaunt, ist das Fehlen jeglicher Ausstiege. Bist du einmal in das Wasser gefallen, können es auch mal einige Kilometer sein, bis du wieder rauskommst. Bei Rändern mit Spundwänden verstärkt ist da auch für einen geübten Schwimmer nicht viel zu holen. In einem Kanal habe ich auch zwei tote Rehe gesehen, die es offensichtlich nicht raus geschafft haben. Da ich mit wenigen Ausnahmen nun schon seit einer Woche an Kanälen entlangfahre, freue ich mich darauf, wenn es mal wieder etwas anderes zu sehen gibt. Damit meine ich natürlich nicht Landstraßen, von denen habe ich auch schon die eine oder andere kennen gelernt.
Doch das Fahren auf französischen Straßen ist kein Vergleich mit dem Fahren auf deutschen Straßen. Zum einen ist meist viel weniger los als in Deutschland, zum anderen sind die Auto- und LKW-Fahrer viel freundlicher eingestellt. Auch sind die meisten Straßen außerhalb der Ortschaften in einem besseren Zustand, als ich das von Nebenstraßen in Brandenburg gewöhnt bin. Selbst wenn da nur alle Stunden mal ein Auto fährt, ist die Straße asphaltiert und die meisten Schlaglöcher sind ausgebessert. Auf der einen oder anderen Straße wurde es mir schon fast unheimlich, so wenig war da los. Falls was passiert, will ich ja nicht ewig warten bis mal wer vorbeikommt.
Das wichtigste sind aber, wie gesagt, die Lenker der Fahrzeuge. Während es in Deutschland scheinbar Sport ist, so eng wie möglich zu überholen, lassen die Franzosen meist eine ganze Spur frei. Da wird geduldig hinter mir hergefahren, bergauf, mit 10 km/h, bis die Gegenspur frei ist und dann mit zwei Metern Abstand überholt wird. Natürlich gibt es auch ganz selten (bisher, nach 11 Tagen, ein- oder max. zweimal) einen „deutschen“ Autofahrer. Es ist gar nicht so angenehm, wenn 10 Minuten lang ein LKW hinter einem hertuckert, wartend auf eine Überholgelegenheit. Zum Glück gibt es dann meist eine Auffahrt oder Ähnliches, wo ich alle vorbeilassen kann. Insgesamt empfinde ich Frankreich als sehr fahrradfreundliches Land.

Frankreich jenseits des Hochglanzes

In Deutschland wird ja in den letzten Jahren viel über marode Brücken und einen Investitionsstau von historischem Ausmaß gesprochen. Die Teile Frankreichs, durch die ich bisher gefahren bin, waren etwas zwischen beeindruckend modern und gut ausgestattet und ziemlich heruntergekommen. Während die Autobahnbrücken und auch die Landstraßenbrücken um Torey herum in einem guten Zustand zu sein scheinen, kann ich dies von den meisten Brücken über die Kanäle im Elsas und Lothringen nicht sagen. Da habe ich alles gesehen, von abblätternder Farbe bis hin zu – schnell durch – bevor etwas herunterkommt.
Auch viele der Industriebetriebe und Orte haben mich an meine Fahrt durch Sachsen-Anhalt erinnert. Ein Chemiewerk, dessen Rohre und Kessel vor 20 Jahren einen neuen Anstrich gebraucht hätten, Häuser, die noch bewohnt sind, wo aber schon die Hälfte des Putzes fehlt und viele aufgegebene Betriebe und noch mehr verlassene Geschäfte.
Je weiter ich mich jedoch Paris nähere, desto besser sieht es aus. Jetzt, wo ich an der Seine bin, also kurz vor Paris, erinnert mich vieles mehr an das Rhein-Main-Gebiet als an die neuen Bundesländer. Doch auch hier gibt es einige Ecken, denen man ansieht, dass Geld schwer erarbeitet werden muss: Ein Dorf, in dem nur wenige, sehr alte Autos herumstehen und der einzige Laden vor allem Lottoscheine verkauft. Ein Campingplatz, auf dem die leben, die das System fallengelassen hat. All das ist zum Teil nur wenig entfernt von neuen, modernen Spielplätzen und neuen Straßen. Dazwischen alte Kirchen, denen man von außen nicht ansieht, ob sie innen modern saniert oder am Einstürzen sind.
All meine Beobachtungen mache ich als Fremder, der hier hindurchreist und ein für ihn unbekanntes Land erkundet. Ob es ähnliche Orte und Konfrontationspunkte in Deutschland gibt und wo die sind, kann ich nur erahnen. Beim Bekannten, Gewohnten bin ich nun mal betriebsblind.

*Es gab ja auch noch nie in der Geschichte so viel, was marode sein konnte.